Einige Persönlichkeiten der Hypnose(forschung)

Es sollen hier ein paar Bemerkungen zu einigen wichtigen Gestalten der Hypnose gemacht werden. Dabei erhebe ich nicht nur keinen Anspruch aus Vollständigkeit – ein solcher wäre eh nicht einzulösen – sondern bekenne mich ganz ausdrücklich zum Anspruch auf Unvollständigkeit, Selektivität und Subjektivität. Eventuell werde ich aber von Zeit zu Zeit noch Ergänzungen vornehmen.

Da in diesem Blog vor allem die Hypnoseforschung im Mittelpunkt des Interesses steht, möchte ich mich hier außerdem vor allem auf diejenigen konzentrieren, die zum besseren wissenschaftlichen Verständnis der Hypnose beigetragen haben; dies zumal, da ohnehin häufig über die medizinischen Pioniere berichtet wird, auch auf anderen Seiten. In der folgenden Darstellung orientiere ich mich grob an chronologischen und systematischen Gesichtspunkten. Zudem beginne ich erst mit der “moderneren” Epoche ab Braid und lasse hier die Frühgeschichte außer acht, so interessant diese auch ist.

Anmerkung: Zur Erklärung verschiedener Termini Technici wie “soziokognitive Theorien der Hypnose”, “Non-State-Theorien” oder “Demand Characteristics” sei der Leser auf den Artikel “Hypnose(forschung): Eine kleine Einführung” verwiesen. Ebenfalls hilfreich für ein Verständnis könnte der Artikel “Die Non-State-Theorien der Hypnose” sein.

James Braid (1795-1860), ein schottischer Arzt,  stellte die erste Theorie der Hypnose auf, bei der nicht “magnetische Kräfte” oder andere ominöse Wirkfaktoren postuliert wurden, sondern die Effekte der Hypnose psychologisch bzw. neurophysiologisch erklärt werden sollten. Laut Bramwell stellte Braid insgesamt drei Theorien der Hypnose auf, nachdem er sich in seiner Erkenntnis jeweils weiterentwickelt hat- seine letzten Überzeugungen haben offenbar sogar einiges mit modernen soziokognitiven Theorien der Hypnose gemeinsam.

John M. Bramwell (1952-1925) war ebenfalls ein schottischer Arzt, und ein guter Kenner der Arbeiten von James Braid. An Bramwell ist unter anderem bemerkenswert, dass er viele Einsichten zur motivationalen Natur der Hypnose vorwegnahm. Dezidiert kritisierte er das mechanistische Suggestions-Verständnis der Suggestion und Hypnose, wie es etwa von Bernheim gepflegt wurde, und betonte stattdessen die Bedeutung des Wollens für die Hypnose. Bramwell betonte wie Braid, dass Hypnotisierte weder im Hinblick auf ihre Intelligenz, noch im Hinblick auf ihre Willenskräfte, noch bezüglich ihrer Fähigkeit, die Realität zu erkennen und angemessen auf sie zu reagieren, “wachen” Personen unterlegen sind. Seine späteren Auffassungen entsprechen deutlich soziokognitiven Ansätzen. Bramwell machte sich außerdem schon früh für einen kooperativen, nicht-autoritären Umgang mit hypnotisierten Patienten stark. Er erkannte aus seiner Erfahrung, dass ein solcher mindestens so effektiv war wie ein autoritär-befehlender.

Ambroise-Auguste Liébeault (1823-1094) und Hippolyte Bernheim (1840-1919) erkannten, dass die Wirkung der Hypnose nicht auf mechanischen Reizen, sondern auf der Kraft der Suggestion beruht. Gegen Jean-Martin Charcot (1825-1893) betonten sie, dass Hypnose kein hysterisch-krankhaftes Phänomen ist, sondern eines, auf das auch normale Personen ansprechen, und das für viele medizinische und therapeutische Anwendungen nützlich ist. Liébeault und Bernheim gehörten zur sog. “Schule von Nancy”. Deren Ansichten sollten einen großen Einfluss auf viele zeitgenössische Psychiater und Neurologen gewinnen, etwa auch auf Sigmund Freud (1856-1939), der die hypnotische Therapie jedoch zugunsten der Psychoanalyse aufgab.

Clark L. Hull (1884-1952) war ein bedeutender behavioristisch orientierter Psychologe. In seinem Buch “Hypnosis and Suggestion” führte er die wohl erste umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen “Hypnose” durch. Hull kann als eigentlicher Begründer der akademischen Hypnoseforschung angesehen werden. Nachdem er nach Yale gegangen war, musste er seine Untersuchungen über die Hypnose jedoch einstellen, da er auf den Widerstand von Ärzten angesichts der angeblichen “Gefahren der Hypnose” traf.

Robert W. White (1904–2001) war ein amerikanischer Persönlichkeitspsychologe. Sein wesentliches Verdienst für die Hypnose besteht darin, die mechanistischen Vorstellungen über die Hypnose besonders klar und nachdrücklich abgewiesen zu haben. Wie auch schon Bramwell erklärte er Hypnose nicht als ein automatenhaft-reflexhaftes Reagieren, sondern führte es auf das intelligente, willentliche Absicht des Subjekts zurück – dabei betonte er auch die Bedeutung der interaktiven Beziehung zwischen Hypnotiseur und Subjekt. In der Hypnoseforschung (aber wohl auch nur dort) hatte er damit großen Einfluss. Seine bekannteste Formulierung lautet: “Hypnotisches Verhalten ist ein sinnvolles, zielgerichtetes Streben, dessen allgemeinster Zweck es ist, sich wie eine hypnotisierte Person zu verhalten, und zwar so, wie dies kontinuierlich durch den Hypnotiseur definiert und vom Subjekt verstanden wird.“

Martin T. Orne (1927-2000) wurde in Wien geboren, doch die Familie emigrierte 1938 angesichts des Nationalsozialismus in die Vereinigten Staaten. Orne war Professor für Psychiatrie und Psychologe, und er leitete das Labor für experimentellen Psychiatrie an der Universität von Pennsylvania. Er leistete zahlreiche Beiträge zu verschiedenen Aspekten der Hypnoseforschung, und viele Jahre lang war er Herausgeber des International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis. Insbesondere bemühte er sich darum, die “genuine” Hypnose sorgfältig freizulegen und sie von nicht-hypnotischen situativen und sozialen Faktoren zu unterscheiden, die in das Verhalten hypnotisierter Personen einfließen können. Das Konzept der “Demand Characteristics” der Situation (des “Aufforderungscharakter” der Situation), das in der Psychologie im Allgemeinen und der Hypnoseforschung im Besonderen eine Rolle spielt, geht weitgehend auf Orne zurück. Die “Demand Characteristics” beeinflussen in hohem Maße, was Hypnotisierte erleben und wie sie sich verhalten; ebenso haben die bereits im Vorfeld der Hypnose erworbenen Überzeugungen und Einstellungen der Hypnotisierten zur Hypnose großen Einfluss auf ihr Verhalten. Dies demonstrierte und erörterte Orne sorgfältig. Um solches experimentelles “Artefakt” von der “Essenz” der Hypnose zu unterscheiden, entwickelte er u.a. das Reale-Subjekte-vs.-Simulanten-Design, bei denen “tief hypnotisierte” Personen und “wache” Probanden, die nur so tun, als seien sie hypnotisiert, verglichen werden. Überhaupt beschäftigte Orne, der verschiedene Vorurteile und überkommene Meinungen zur Hypnose widerlegte, sich gründlich mit methodologischen Fragen. Das Konzept der “Trancelogik” geht auf ihn zurück (ein Beispiel für “Trancelogik” wäre es, wenn jemand einen Stuhl negativ halluziniert und dennoch um ihn herumgeht, als könne er ihn sehen; der Sache nach sind solche Beobachtungen natürlich schon älter, aber Orne versuchte, sie systematisch zu beschreiben und zu erklären). Besonders aber beschäftigte Orne sich mit “forensischen” Themen wie dem Einsatz der Hypnose zur Wahrheitsfindung und mit Fragen wie denen, ob der Hypnotiseur den Hypnotisierten kontrollieren kann, und ob Hypnose ohne Einwilligung möglich ist. Das Thema der “hypnotischen Verbrechen” behandelte Orne sehr gründlich und unter verschiedensten Gesichtspunkten – dazu gehört etwa die Frage, ob Hypnose zu erhöhtem Gehorsam führt oder nicht, und ob eine suggestive Veränderung der Wahrnehmung die Annahme anti-sozialer Befehle begünstigt. Nach meinem Dafürhalten hat niemand bessere und umfassendere Arbeiten zur Thematik “Hypnose und Verbrechen” vorgelegt als Orne, und auch heutige Publikationen zu diesen Gesichtspunkten bauen wesentlich auf seinen Überlegungen und Ansätzen auf (tatsächlich waren Orne und sein Kollege Frederick J. Evans die ersten, die 1965 systematisch das Verhalten “tief Hypnotisierter” und “Wacher” im Hinblick auf vermeintlich “antisoziale” Befehle verglichen, also mit einer “Kontrollgruppe” arbeiteten).  Orne vertrat einerseits die motivationale Sicht auf die Hypnose, wie sein Mentor Robert White sie formuliert hatte (auch wenn er, etwa bei seiner anfänglichen Behandlung der posthypnotischen Suggestion, diese Sichtweise nicht immer konsequent durchhielt). Hierin ähnelten seine Ansichten denen sozikognitiven Theoretikern; andererseits war Orne auch von eher traditionellen Vorstellungen geprägt, etwa im Hinblick auf die State-Frage, was sich auch in einer traditionellen Terminologie niederschlägt. Orne nimmt insofern gewissermaßen eine Brückenfunktion ein, und seine Texte sind (abgesehen vom fachlichen Anspruch) oft auch für Leser verständlich, die sich nicht in die vielen Kontroversen der Hypnoseforschung eingearbeitet haben. Seine Texte haben es auch an sich, dass sie oft nicht allein bei dem unmittelbaren jeweiligen Thema bleiben, sondern häufig auch weitere und allgemeine Fragen auf interessante Weise beleuchten, ohne sich dabei jedoch zu verzetteln.

Ernest R. “Jack” Hilgard (1904-2001) gilt als einer der herausragendsten Psychologen des 20. Jahrhunderts und war zweitweise Präsident der American Psychological Association. Der politisch liberal eingestellte Hilgard, der sich für Bürgerrechtsbewegungen engagierte und vor allem an der amerikanischen Stanford-Universität lehrte, verfasste Bücher zu verschiedenen Themenbereichen der Psychologie (beispielsweise zum Lernen), und sie wurden Standard-Werke. Sehr intensiv beschäftigte Hilgard sich auch mit der Hypnose, und er gilt als einer ihrer wichtigsten wissenschaftliche Vertreter. Auch Hilgard leistete Beiträge zu vielen Aspekten der Hypnose. So entwickelte er zusammen mit André M. Weitzenhoffer (1921– 2004) verschiedener Hypnose-Skalen, wie sie noch heute Verwendung finden. Intensiv widmete er sich zusammen mit seiner Frau, der Psychiaterin Josephine Helgard (1906-1989) auch der hypnotischen Schmerzkontrolle. Frühere Überlegungen von Pierre Janet aufgreifend formulierte Helgard eine der einflussreichsten Theorien der Hypnose überhaupt, die sog. “Neo-Dossoziationstheorie”. Auch wenn nicht immer Klarheit über die genaue Auslegung besteht, verschiedene Interpretationen bzw. Derivate entwickelt wurden (insbesondere J. Kihlstom vs. E. Woody zusammen mit K. Bowers)  oder man nicht alle Ideen teilen mag: Die Grundintuition, dass die “Abspaltung” psychischer Prozesse wesentlich für hypnotisches Erleben ist, dürfte heute eine relativ weite Akzeptanz finden, und dies nicht ohne Grund. In diesem Kontext formulierte Hilgard auch den Begriff des Hidden Observer (des “verborgenen Beobachters”) – eine Metapher dafür, dass hypnotische Subjekte in der Lage sind, auch unbewusst Informationen zu verarbeiten und zu artikulieren. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn der Hypnotiseur einer hypnotisch tauben Person sinngemäß erklärt, dass sie auf einer unbewussten Ebene ja weiter hören kann, und wenn er diesen “Teil” dann erfolgreich etwa bittet, eine Frage zu beantworten, die die entsprechende Person “bewusst” nicht hören kann. Die Übergänge zwischen den Phänomenen “Trancelogik” (Orne) und “Hidden Observer” (Hilgard) sind offensichtlich fließend, aber beim “Hidden Observer” zeigt sich das unterbewusste Wissen noch expliziter, während es bei der Trancelogik eher “implizit” im Verhalten sichtbar wird. Die Ideen von “Trancelogik” und “Hidden Observer” sind in ihrer Interpretation nicht unumstritten,  dürften richtig verstanden richtig verstanden aber wichtige Einsichten beinhalten.

Theodore Xenophone (T.X.) Barber (1927-2005) hatte sich bereits als Student mit Showhypnose Geld dazu verdient; später beschäftigte der Psychologe sich wissenschaftlich und therapeutisch mit der Hypnose. Barber schlug in den 1960er Jahren einen Ansatz zur Erklärung der Hypnose vor, der sich von den meisten damals üblichen Theorien deutlich unterscheidet. Hypnotisches Verhalten beruht demnach nicht auf einem postulierten hypnotischen Sonderzustand, sondern auf den kognitiven Fähigkeiten, der Motivation, den Einstellungen und Erwartungen des Subjekts zusammen mit den jeweiligen äußeren Bedingungen. Auch wenn Barbers Formulierungen sehr radikal waren, ließe sich seine Theorie sinngemäß auch so übersetzen: “Trance” ist ein normaler Zustand des Absorbiertseins und eines der Phänomene der Hypnose, nicht ihr Ursprung. Theoretische Auffassungen, die Barbers Perspektive in der Essenz weitgehend entsprechen, gab es auch zuvor bereits. Bekannt war etwa der Ansatz von Theodore R. Sarbin (1911-2005); ein bedeutender Schüler von Sarbin wurde William C. Coe (1930-2004). Aber die zentralen Ideen lassen sich bis zu Delboeuf, Bernheim, Bramwell und teilweise schon Braid zurückführen. Barber jedoch unternahm unzählige Experimente, um seine Überlegungen zu stützen und war wohl einer der fleißigsten Hypnoseforscher aller Zeiten. Mit Mitarbeitern wie D.S. Calverley, N.P. Spanos und J.F. Chaves konnte er unter anderem zeigen, dass die “Wachsuggestibilität” motivierter Personen deutlich höher ist als allgemein angenommen. Gegen Ende seines Lebens wurde Barber moderater. Er revidierte seine Auffassungen bis zu einem gewissen Grade und schlug ein integratives Modell (“eine reife Sicht”) vor, das auch Positionen ähnlich denen berücksichtigte, wie sie in klassischen State-Theorien vertreten werden. (Die Diskussion über dieses Modell oder ähnliche Modelle ist bis heute im Gange.)  Barber betonte, wie das typisch für soziokognitive Theoretiker ist, zudem, dass der Wunsch und Wille der Probanden wesentlich für ihre hypnotischen Erfahrungen ist und zeigte beispielsweise, dass Versuchspersonen, die ständig dieselben Hypnose-Tests wiederholen und sich dabei langweilen, zunehmend schlechter auf Hypnose reagieren. So kritisierte er mechanistische Auffassungen, wie sie etwa auch durch Hull vertreten worden waren.

Nicholas P. Spanos (1942-1994), ein Schüler von T.X. Barber, hatte bis zu seinem tödlichen Absturz in einem Einsitzer-Privatflugzeug ebenfalls zu den fleißigsten Hypnoseforscher gezählt. Der in Ottawa lehrende Spanos betonte besonders nachdrücklich, dass hypnotisches Verhalten ein willentliches und intelligentes Tun ist, das wir als “zweckgerichtet” zu verstehen haben. Um dies aufzuweisen, führte Spanos mit seinen Kollegen unzählige Experimente durch. Beispielsweise gelang es ihm und seinen Mitarbeitern, endgültig zu zeigen, dass die Reaktion auf eine posthypnotische Suggestion nicht “automatisch” oder “zwanghaft” ist, auch wenn es so erlebt werden kann, sondern absichtsvoll und der jeweiligen Situation angepasst. Spanos hat viele Anstrengungen unternommen, die uns zu einem verbesserten Verständnis der Hypnose helfen, und er hat viel getan, um den motivationalen Ansatz der Hypnose zu untermauern. Es lassen sich aber auch einige Kritikpunkte formulieren. Spanos betonte so sehr die großen Gemeinsamkeiten zwischen “normalem” und hypnotischem Verhalten, dass das, was hypnotisches Verhalten eigentlich ausmacht, aus dem Blick zu geraten droht. So droht dann auch eine Bagatellisierung der Hypnose und hypnotischer Phänomene. Es könnte sogar mitunter bei der Lektüre seiner Texte fast der Eindruck entstehen, dass der Hypnotisierte nichts Besonderes erlebt – einem solchen Eindruck hat Spanos allerdings nachdrücklich widersprochen und ausdrücklich betont, dass viele Hypnotisierte genuine und eindrucksvolle Erfahrungen machen. Dennoch erklärt sein Ansatz nach meinem Dafürhalten das, was die Hypnose ausmacht, nur unzureichend. (Ähnliche Kritikpunkte lassen sich auch gegenüber etlichen anderen Non-State-Theorien formulieren, vor allem den älteren.)  Spanos selbst legte keine eigene systematisch ausgearbeitete Theorie der Hypnose vor (manche sagen, dass er so viele Experimente gemacht hat, dass ihm dazu die Zeit fehlte). Was bleibt: Spanos hat viele wichtige – und außerhalb der Hypnoseforschung gewöhnlich vernachlässigte – Aspekte der Hypnose eindrucksvoll beleuchtet, auch wenn er nicht allen Aspekten gerecht geworden ist, die zur Hypnose gehören.

Milton H. Erickson (1902-1980) ist vielleicht der bekannteste aller Hypnotiseure und hatte den Beinamen “Mr. Hypnosis”. Er war sowohl Psychologe wie auch Psychiater und begründete die American Society for Clinical Hypnosis und das American Journal of Clinical Hypnosis. Er unternahm verschiedene Forschungen zur Hypnose, die nach Weitzenhoffer zu den besten der damaligen Zeit gehörten; noch berühmter ist Erickson jedoch für seine Beiträge zur klinischen Hypnose (und zur Therapie im Allgemeinen). Erickson betonte die Natürlichkeit der Hypnose. Seinem Konzept der “naturalistischen Trance” entsprechend versuchte er oftmals, Umstände und Bedingungen herzustellen, die das spontane und “natürliche” Entstehen von Trance und Tranceerfahrungen begünstigten. Im Gegensatz zu den sonst oft üblichen meist eher starren und formellen Hypnose-Protokollen zerfließen bei vielen Interventionen Ericksons die Grenzen von Hypnose und Kommunikation. Insbesondere ein permissiver und indirekter Stil sowie die Verwendung von Metaphern werden mit Erickson in Verbindung gebracht, aber auch andere Methoden und Techniken. Diejenigen, die mit Erickson intensiv zusammengearbeitet haben (z.B. E. Rossi) betonen jedoch, dass Erickson durchaus auch direkt und “autoritär” sein konnte, wenn er dies für die beste Herangehensweise in der jeweiligen Situation hielt. Vor allem ein enormes Maß an Flexibilität und die Bereitschaft, jenseits aller vorgefertigten Schemata auf das Individuum einzugehen, habe Ericksons Arbeit ausgezeichnet. Erickson betonte außerdem, dass nach seiner Auffassung jeder Mensch die Ressourcen zur Lösung seiner Probleme bereit mit sich mitführte – die Aufgabe des Therapeuten sei es, bei deren Entdeckung und Nutzbarmachung zu helfen. Das menschliche Unterbewusstsein war für Erickson ein Reservoir verborgener Weisheiten und Möglichkeiten, die auf eine Nutzbarmachung warteten. Selbstverständlich war für ihn, dass die eigentliche Leistung bei Hypnose oder Therapie beim Hypnotisierten, nicht beim Hypnotiseur zu verorten war. Große Bekanntheit hat auch Ericksons Ansatz der Utilisation erlangt: Was immer der Hypnotisierte resp. Patient “mitbringt”, und sei es Widerstand, soll als Ressource aufgefasst und genutzt werden. Erickson gilt weiterhin als ein wichtiger Vertreter der ressourcenorientierten und der Kurzzeittherapie. Seine Arbeit beinhaltete auch unkonventionelle Methoden, die seinen Patienten helfen sollten; so schickte der für lange Zeit in Phoenix lebende Erickson auch manche Patienten auf den nahegelegenen Squaw Peak, um sie darin zu unterstützen, eine andere Perspektive einzunehmen. Anhänger Ericksons wie etwa D.C. Hammond, der nach eigenen Angaben professionell mehr Erickson verdankt als irgendjemandem sonst, machen jedoch geltend, dass Erickson zwar ein besonders herausragender Hypnotiseur und Kliniker, aber eben auch ein Mensch war, der wie alle Menschen auch Fehler machte oder manchmal an Grenzen stieß. Sie warnen vor einer Mythenbildung und vor allem auch vor einer problematischen Vermarktung einer zurechtgestutzten und schematisierten vermeintlichen “Erickson-Methode”, die dem Ericksonschen Universalismus nicht mehr gerecht wird. Erickson selbst scheint eine solche Entwicklung, die nach seinem Tod einsetzte, gefürchtet zu haben, konnte sie jedoch nicht verhindern.

Dave Elman (1990-1967) übte großen Einfluss insbesondere auf die  nicht-medizinisch- psychologische Hypnose-Szene aus. Wie auch Gil Boyne und Ormond McGill hatte er seine Erfahrungen zuerst in der Showhypnose gesammelt, unterrichtete dann aber vor allem Ärzte im Gebrauch der Hypnose, wobei sein besonderes Augenmerk auf der Hypnoanalyse lag. Elman arbeitete auch mit besonders tiefen Entspannungszuständen, vor allem im Zusammenhang mit hypnotischer Anästhesie. Seine Techniken sind einfach und wirkungsvoll; es ist aber ist interessant ist auch seine “subjektzentrierte” Einstellung. Elman betonte nämlich nachhaltig, dass der Hypnotisand selbst der eigentliche Hypnotiseur ist, und dass nur er sich selbst hypnotisieren kann. Der Hypnotiseur kann dazu selbst nur Hilfestellung geben, und der Hypnotisand entscheidet, ob er sie annimmt oder nicht. Der Hypnotisierte bleibt außerdem auch in tiefster Trance in der Lage, angemessen auf seine Umgebung zu reagieren und auszuwählen, welche Suggestionen er akzeptiert und welche nicht. Diese Grundauffassung prägt auch Elmans Techniken und Methoden in besonderer Weise – in ihnen wird dem Subjekt eine besonders aktive Rolle zugewiesen, in einer Art, wie man dies sonst selten findet. Es scheint jedoch, dass viele Leute sich vor allem ^für die  Techniken und weniger für die hinter ihnen stehenden Grundannahmen interessieren.

Neben den genannten Personen haben zahlreiche weitere wesentlich zur Hypnose und Hypnoseforschung beigetragen, die hier nicht genannt werden können. Nur kurz hingewiesen sei etwa auf die australisch geprägte Hypnoseforschung (z.B. Peter Sheehan, Kevin McConkey, Amanda Barnier und andere), die insbesondere die Interaktion und das phänomenale Erleben der Hypnotisierten im Blick hat. Oder auf Steven J. Lynn, der sehr viel Arbeit zu zahlreichen Themen rund um die Hypnose geleistet hat – unter anderem hat er mit seinen Mitarbeitern sorgfältige Experimente durchgeführt, die zeigten, dass Hypnose nicht mit mehr negativen Erlebnissen oder Problemen einhergeht als ganz normale Aktivitäten. Irving Kirsch ist ebenfalls bekannt, nicht nur für seine Arbeiten zur Hypnose, in denen er insbesondere die Bedeutung der Erwartung betont, sondern insbesondere auch zu seine kritischen Studien zur Wirksamkeit von Antidepressiva und der problematischen Praxis, mit der solche Studien überhaupt veröffentlicht werden (“publication bias” ). Ebenfalls wird man bei der Lektüre gehobener Fachliteratur immer wieder auf Namen wie Campbell Perry, William C. Coe, Graham F. Wagstaff, Ronald E. Shor, William Kroger, Stephen Gilligan, Jean-Roche Laurence, Herbert Spiegel, David Spiegel, Arreed Barabsz, Marianne Barabasz, Éva Bányai, Helen Crawford und viele andere stoßen.

Und damit wären wir erst mal am Ende dieses wie gesagt sehr subjektiven und selektiven Crash-Kurses angelangt. Wer sich nicht mit der Hypnoseforschung beschäftig hat (und dieses Blog hier nicht gut kennt), der wird vielleicht überrascht sein, wenn immer wieder die Rede davon war, dass hypnotisches Verhalten als intelligent und zielgereichtet apostrophiert wird. Tatsächlich spricht jedoch sehr viel dafür, dass wir es hier mit einem genuinen und wesentlichen (wenn auch nicht dem einzigen) Aspekt der Hypnose zu tun haben, und das ist auch theorieübergreifend in der Hypnoseforschung praktisch allgemein akzeptiert. Siehe zu dieser Thematik bei Interesse auch:  “Einige moderne Ideen zur Hypnose.” Diesen Gesichtspunkt betone ich vor allem deswegen immer wieder, weil er m.E. sehr wichtig ist, nach wie vor aber viel zu wenig Teil des allgemeinen Bewusstseins geworden ist.

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4 Responses to Einige Persönlichkeiten der Hypnose(forschung)

  1. Stefan says:

    Was für einen Sinn hat dieser Artikel ?

  2. escatan says:

    Potentiell interessierten Lesern einige Informationen zu wichtigen Gestalten der Hypnose(forschung) zu geben. Manche mag das interessieren, andere nicht – das mag ein jeder für sich entscheiden.

  3. R. Hoppen says:

    Ich bedanke mich fuer diesen Artikel, den ich wie alle anderen Ihrer Artikel fuer mich als sehr lehrreich empfinde. Ich beschaeftige mich seit einigen Jahren mit Hypnose /Hypnosetherapie und bin im letzten Jahr zufaellig auf Ihren Blog gestossen. Ich mag Ihre differenzierte und genau recherchierte Art zu schreiben. Mir geben Ihre Artikel immer wieder den Anreiz gelerntes zu ueberdenken und neues zu entdecken. (Fuer mich neue Theorien und Namen der Hypnoseforschung z.B) Klasse finde ich auch Ihre links zu den Quellen. Also einen lieben Dank an dieser Stelle fuer all Ihre Muehe ueber Hypnose so verstaendlich und kompetent zu schreiben! Ich hoffe, es folgen noch viele weitere Artikel. Seit Oktober 2014 schau ich hier jede Woche vorbei in der Hoffnung wieder “was neues zu finden” 🙂

  4. escatan says:

    Vielen lieben Dank. So was hört man natürlich nicht ungerne, auch wenn man bei dem Ausmaß des Lobes schon etwas errötet. Genau aus solchen Gründen wie den beschriebenen verfasse ich die Artikel auch.

    Ich habe vor, weitere Artikel zu verfassen, wobei ein einigermaßen guter und auch sprachlich ordentlicher Artikel natürlich schon einige Zeit kostet, vor allem, wenn er auch noch länger ist. (Meine eigenen Ansprüche seit den ersten Artikeln, vor allem die formalen, sind inzwischen auch gewachsen.) Aber nun ja, im Lauf der Zeit kommt etwas zusammen.

    Es besteht übrigens auch die Möglichkeit, als “Follower” dem Blog zu folgen, so dass man via Email automatisch auf neue Artikel hingewiesen wird. (Es gibt WordPress- und Email-Follower, aber beide werden über Email über neue Artikel unterrichtet.) Dies ist aber natürlich nur eine Option, und während manche sie als hilfreich empfinden, können andere vielleicht nicht so viel mit ihr anfangen.

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